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Dunkle Geheimnisse kaufen Kunst

© S. Fischer Verlag, Aufführungsrechte S. Fischer Verlag Theater & Medien
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Textausschnitt

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PAULA Bilder und Skulpturen, wird behauptet, haben nicht nur einen ideellen, sondern auch einen realen Wert. Bilder und Skulpturen können als gewinnbringende Investments betrachtet werden. Man kann sich von ihnen eine steigende Wertentwicklung erwarten. Kunstwerke gelten als interessante Alternative zu den traditionellen Anlageformen. Zumindest im Augenblick, heißt es, sei es ratsam, sein Geld auf diese Weise anzulegen. Jonas ist auch dieser Meinung. Ich nicht. Ich bezweifle auch, dass es überhaupt möglich ist, auf nüchterne Weise mit einem klaren Verstand Kunstwerke zu kaufen. Es werden einem immer irgendwelche Gefühle dazwischen kommen und den Geist verwirren. Kunstwerke zu kaufen ist eine sentimentale und nostalgische Angelegenheit und man wird dabei immer ein Opfer seiner regressiven Wünsche bleiben. Es wird einem nie gelingen, von Vernunft geleitete Kaufentscheidungen zu treffen. Natürlich kann man jetzt einwenden, dass niemand dazu gezwungen wird, ein Bild oder eine Skulptur zu kaufen, und dass derjenige, der über die finanziellen Mittel verfügt, sich mit solchen Fragen des Luxus beschäftigen zu können, ohnehin kein Mitleid verdient und selbst schuld ist, wenn er sein Geld dabei verliert. Aber es geht hier nicht um Unschuld oder Schuld, es geht nicht um ein Einzelschicksal, es geht darum, wie vernünftig die Entscheidung ist, in Kunstwerke zu investieren und ob man es nicht lieber bleiben lassen sollte, wenn man am Ende nicht wie ein Idiot dastehen will, dem wegen seiner Leichtgläubigkeit das ganze Geld aus der Tasche gezogen worden ist. Ich jedenfalls habe nicht die Absicht, auf diesen Schwindel hereinzufallen.

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JONAS Ich wollte schon immer einen Richter besitzen. Schon seitdem ich zum ersten Mal eine Ausstellung mit seinen Bildern gesehen habe. Für jeden Sammler ist ein Richter etwas ganz Besonderes und ich kenne keinen Sammler, der nicht alles tun würde, um an einen Richter zu kommen. Als ich erfahren habe, dass es bei einem Händler in München zu einem sehr günstigen Preis einen Richter gibt, war mir augenblicklich klar, dass ich das Bild kaufen muss. Bei unserem ersten Telefonat habe ich den Händler nicht einmal danach gefragt, ob es ein gegenständliches oder abstraktes Werk ist und aus welchem Jahr es stammt. Ich wollte das Bild unbedingt haben. Natürlich hat es noch immer ein Vermögen gekostet, aber gemessen an den Preisen auf dem offiziellen Markt war es eine günstige Gelegenheit. Hätte ich mir diese Gelegenheit entgehen lassen, hätte ich mich mein ganzes Leben lang darüber geärgert. Der Händler in München gilt als vertrauenswürdig. Freunde von mir haben schon öfters dort Bilder gekauft und es niemals bereut. Zwei Wochen, nachdem ich den Richter gekauft hatte, lese ich in der Zeitung, dass auf dem Markt Fälschungen von Richter aufgetaucht sind. Fälschungen aus allen Schaffensperioden. Ich habe das Bild genommen und in einem Museum von einem Experten überprüfen lassen. Das Ergebnis der Überprüfung war, dass das Bild eine Fälschung ist. Als Paula das erfahren hat, hat sie furchtbar wütend reagiert.

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PAULA Du hast eine Fälschung gekauft.

JONAS Das habe ich nicht.

PAULA Das Bild ist ein Fälschung.

JONAS Das sagt dieser Experte. Das muss nicht stimmen.

PAULA Du hast verlangt, dass wir das Geld in Kunst investieren. Ich habe dir geglaubt und dir vertraut.

JONAS Du kannst mir auch vertrauen.

PAULA Du investierst nicht nach rationalen, sondern nach emotionalen Kriterien. Du wolltest schon seit Jahren einen Richter. Du hast mir tausend Mal von deinem ersten Besuch einer Ausstellung mit seinen Bildern erzählt.

JONAS Das war für mich ein Schlüsselerlebnis.

PAULA Ich weiß.

JONAS Diese Ausstellung hat mein Verständnis von Kunst geprägt.

PAULA Aber genau deshalb hast du jetzt eine Fälschung gekauft.

JONAS Es ist nicht sicher, dass es eine Fälschung ist.

PAULA Du hast eine Fälschung gekauft, weil du dich nie von diesem Schlüsselerlebnis befreit hast.

JONAS Ich war damals neunzehn.

PAULA Das ist kein Grund, noch immer an diesem Erlebnis festzuhalten.

JONAS Ich war zum ersten Mal in einer Ausstellung mit Gegenwartskunst.

PAULA Jedes Mal, wenn du jetzt einen Richter siehst, fühlst du dich in diese Ausstellung zurückversetzt.

JONAS Die Ausstellung war phantastisch.

PAULA Du fühlst dich in diesen Lebensabschnitt zurückversetzt. Und du willst die Gefühle, die du in diesem Lebensabschnitt hattest, noch einmal erleben.

JONAS Die Ausstellung war eine Sensation. Das ist nicht nur meine Meinung.

PAULA Diese Ausstellung hat vor mehr als zwanzig Jahren stattgefunden.

JONAS Auch wenn diese Ausstellung vor so langer Zeit stattgefunden hat, kann ich mich trotzdem noch an jedes Bild darin erinnern.

PAULA Diese Ausstellung hat nichts mit der Gegenwart zu tun.

JONAS Ich habe dir so oft davon erzählt, damit du verstehst, warum ich unbedingt einen Richter wollte.

PAULA Du hast zwanzig Jahre lang davon geträumt. Wer so lange von etwas träumt, kann, wenn er die Möglichkeit hat, sich den Traum zu erfüllen, nicht mehr rational handeln.

JONAS Ich habe rational gehandelt. Es war eine günstige Gelegenheit.

PAULA Der Richter war so günstig, weil es eine Fälschung ist.

JONAS Niemand hätte das Bild als Fälschung erkannt.

PAULA Der Experte im Museum hat es sofort erkannt.

JONAS Ich bin kein Experte.

PAULA Du hast immer gesagt, du kennst dich bei Richter aus.

JONAS Ich habe viele Ausstellungen von ihm gesehen und ich besitze alle Bücher über ihn.

PAULA Du kennst dich überhaupt nicht dabei aus. Du bist nur davon begeistert.

JONAS Nenn mir jemanden, der nicht von Richter begeistert ist.

PAULA Es gibt bestimmt Menschen, die nicht von Richter begeistert sind.

JONAS Menschen, die nicht von Richter begeistert sind, interessieren mich nicht.

PAULA Weil du so begeistert davon bist, hast du nicht rational gehandelt.

JONAS Wenn ich von diesen Bildern nicht begeistert wäre, wäre ich nie auf die Idee gekommen, eines zu kaufen. Wer von einem Maler nicht begeistert ist, wird nie ein Bild von ihm kaufen.

PAULA Deine Begeisterung hat dich dazu gebracht, eine Fälschung zu kaufen.

JONAS Es steht noch nicht fest, dass es eine Fälschung ist.

PAULA Gerade wegen deiner Begeisterung hättest du misstrauisch sein müssen. Du hättest warten müssen, bis deine Begeisterung wieder verflogen ist.

JONAS Meine Begeisterung für Richter wird nie verfliegen.

PAULA Selbstverständlich wird sie das irgendwann.

JONAS Begeisterung ist das Wichtigste. Es ist traurig, dass es so viele Menschen gibt, die sich nicht für Malerei begeistern können.

PAULA Man kauft keine Bilder, wenn man davon begeistert ist. Man kauft nicht die Künstler, von denen man begeistert ist, sondern die Künstler, die einem nichts bedeuten.

JONAS Ich will keine Bilder, die mir nichts bedeuten.

PAULA Kauf endlich einmal Bilder, die dir nichts bedeuten. Triff endlich einmal eine rationale Entscheidung.

JONAS Ich will nichts an die Wand hängen, das mir nichts bedeutet.

PAULA Dann häng die Bilder eben nicht an die Wand. Stell sie in ein Lager.

JONAS Wenn ich ein neues Bild gekauft habe, muss ich es aufhängen und betrachten.

PAULA Das will man nur bei Bildern, die einem etwas bedeuten.

JONAS Ich will meine Bilder um mich haben. Ich will sie an den Wänden hängen haben und mich daran erfreuen.

PAULA So etwas sagt man nicht. Man sagt nicht, dass man sich an einem Bild erfreuen will.

JONAS Warum nicht?

PAULA So etwas sagt niemand mehr. Das hat man vor fünfzig Jahren gesagt.

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JONAS Ich habe schon immer Bilder gekauft, aber im großen Stil sammle ich erst seit ein paar Jahren, seitdem es mit der Firma aufwärts geht. Ich kaufe alte, abbruchreife Häuser und saniere sie vom Keller bis zum Dach. Dann biete ich die Wohnungen einzeln an. Jedes Haus wird so gleichsam Quadratmeter für Quadratmeter verkauft. Seit einiger Zeit sind diese Quadratmeter sehr begehrt. Man rennt uns die Tür ein, um an diese Quadratmeter zu kommen. Man braucht ein Gespür dafür, die richtigen Häuser in der richtigen Lage zu finden. Man braucht eine künstlerische Ader, um aus einer Ruine wieder ein Schmuckstück zu machen. Meine Eltern konnten sich keine Bilder leisten, sondern nur Drucke. Zuhause hatten wir an den Wänden ganz einfache Drucke, wobei meine Eltern diese Drucke rahmen haben lassen wie echte Bilder. Sie waren sich bewusst darüber, dass sie sich niemals die Originale leisten können würden. Sie haben aber auch gar nicht angenommen, dass ihnen diese Originale zustehen würden. Sie haben das auch nicht als ungerecht empfunden. Ihrem Einkommen und ihrer Stellung haben diese billigen Drucke entsprochen. Ich wollte einmal richtige Bilder besitzen, solche, die groß und schwer sind und nach Ölfarben riechen. Ich wollte Großformate besitzen, die eine ganze Wohnzimmerwand ausfüllen und wo die Farben finderdick aufgetragen sind.

5

PAULA Du hast gesagt, ich soll dir vertrauen. Ich kann dir aber nicht vertrauen, wenn du nach sentimentalen Kriterien investierst.

JONAS Ich investiere nicht nach sentimentalen Kriterien.

PAULA Du investierst in Gefühle aus der Vergangenheit.

JONAS Jeder, der sich für Kunst interessiert, hatte irgendwann einmal ein Schlüsselerlebnis.

PAULA Du hast dieses Erlebnis nie aufgearbeitet. Du stehst noch immer unter dem Eindruck dieses Erlebnisses.

JONAS Ich profitiere von diesem Erlebnis. Ich besuche Ausstellungen. Ich gehe in Galerien. Ich fahre nach Basel. Wenn ich diese Ausstellung damals nicht gesehen hätte, würde ich das alles nicht tun.

PAULA Diese Ausstellung hat vor langer Zeit stattgefunden. Du kaufst Bilder, um die Vergangenheit zu beschwören. Du kaufst Bilder, um in Erinnerungen zu schwelgen.

JONAS Jeder Sammler braucht einen Grund, zu sammeln.

PAULA Warum, glaubst du, dass man unbedingt einen Grund dazu braucht?

JONAS Jeder Sammler braucht einen Grund für seine Sammelleidenschaft.

PAULA Warum sammelst du nicht ohne Sammelleidenschaft? Sammle ohne Sammelleidenschaft.

JONAS Das ist ein Widerspruch.

PAULA Du behauptest, dass du ein leidenschaftlicher Sammler bist. Aber richtige Sammler sind nicht leidenschaftlich. Richtige Sammler sammeln nicht aus Leidenschaft, sondern aus Kalkül.

JONAS Man kann nicht aus Kalkül sammeln.

PAULA Man darf nur auf diese Weise sammeln.

JONAS Wer aus Kalkül sammelt, macht Fehler. Wer aus Kalkül sammelt, kauft einmal ein Bild von diesem Maler, dann ein Bild von jenem, dann wieder eine Skulptur von einem anderen. Wer aus Kalkül sammelt, sammelt ohne Konzept.

PAULA Du sammelst auch ohne Konzept.

JONAS Ich sammle Gegenwartskunst.

PAULA Das ist kein besonderes Konzept.

JONAS Wer aus Kalkül sammelt, orientiert sich die ganze Zeit nur am Markt.

PAULA Du orientierst dich zu wenig am Markt. Dabei hast du versprochen, das zu tun.

JONAS Ich habe mich auch am Markt orientiert.

PAULA Wenn du dich am Markt orientiert hättest, wäre dir bewusst gewesen, dass es nicht vernünftig ist, einen Richter zu kaufen.

JONAS Alle sind der Meinung, dass es vernünftig ist, einen Richter zu kaufen.

PAULA Es ist nicht vernünftig, das zu tun, was alle tun.

JONAS Wenn alle einen Richter wollen, steigt der Preis.

PAULA Wenn alle einen Richter wollen, heißt das, dass es jetzt schon zu spät ist, dabei einzusteigen. Du hast den richtigen Zeitpunkt versäumt.

JONAS Zu einem früheren Zeitpunkt hätte ich mir ein Bild von Richter nicht leisten können.

PAULA Wenn, dann hättest du schon viel früher Richter kaufen müssen. Zum Beispiel damals, als du diese Ausstellung gesehen hast.

JONAS Damals hatte ich noch nicht das Geld dazu.

PAULA Jetzt ist es zu spät. Jetzt wollen alle einen Richter besitzen. Genau aus diesem Grund wird er auch gefälscht. Aus diesem Grund sitzen irgendwo Maler und malen den ganzen Tag Gerhard Richter.

JONAS Es stimmt, dass alle einen Richter wollen. Aber weil alle einen haben wollen, werden die Preise auch noch längerfristig steigen. Deshalb ist es immer noch vernünftig, Richter zu kaufen.

PAULA Du hast immer gesagt, dass die Preisentwicklung bei Richter vielversprechend ist.

JONAS Das stimmt auch.

PAULA Du hast gesagt, dass man einen Richter nach ein paar Jahren mit mehr als dreißig Prozent Gewinn verkaufen kann.

JONAS Je nachdem, wie sich der Markt entwickelt.

PAULA Was ist, wenn sich der Markt negativ entwickelt? Du hast Gefühle aus der Vergangenheit gekauft. Und du behauptest, dass man diese Gefühle mit mehr als dreißig Prozent Gewinn verkaufen kann.

JONAS Wenn dieser Richter ein Original wäre, könnte ich es in ein paar Jahren mit Gewinn verkaufen.

PAULA Du hast unser Geld für Gefühle aus der Vergangenheit verschleudert.

JONAS Das stimmt nicht.

PAULA Du hast mein Geld für deine Gefühle aus der Vergangenheit verwendet.

JONAS Das stimmt nicht.

PAULA Ich will mein Geld wiederhaben.

JONAS Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Wir haben bis jetzt noch nichts verloren und wir werden nichts verlieren.

6

PAULA Du hast mir erzählt, dass du, als du damals in dieser Ausstellung warst, sehr verliebt gewesen bist.

JONAS Das weiß ich nicht mehr.

PAULA Du warst mit deiner ersten Freundin dort. Ihr seid Hand in Hand durch die Ausstellung gegangen.

JONAS Daran kann ich mich nicht mehr erinnern.

PAULA Wenn ihr frisch verliebt gewesen seid, seid ihr auch bestimmt so durch die Ausstellungsräume gegangen. Man sieht doch in jeder Ausstellung irgendwo ein frisch verliebtes Paar, wo sich beide innig an der Hand halten. Überall sieht man diese Paare, die vor lauter Verliebtsein von der Ausstellung gar nichts mitbekommen.

JONAS Ich kann mich daran wirklich nicht mehr erinnern.

PAULA Wenn es nicht so wichtig für dich gewesen wäre, hättest du es mir nicht erzählt.

JONAS Ich war neunzehn. Da war alles für mich wichtig.

PAULA Wenn du jetzt einen Richter siehst, denkst du unwillkürlich an diese Szene zurück.

JONAS Ich bin in meinem ganzen Leben nie mit jemandem Hand in Hand durch Ausstellungsräume gegangen. Ich finde das peinlich.

PAULA Du bist mit mir Hand in Hand durch Ausstellungsräume gegangen.

JONAS Wahrscheinlich ein oder zwei Mal.

PAULA Öfter als nur ein oder zwei Mal.

JONAS Ich finde, dass man konzentriert durch Ausstellungsräume gehen muss. Ohne sich ablenken zu lassen. Man muss seine ganze Aufmerksamkeit den ausgestellten Arbeiten widmen.

PAULA Du hast immer gesagt, du möchtest Bilder kaufen, die gesellschaftskritisch sind. Du glaubst, du kaufst ein gesellschaftskritisches Bild, dabei kaufst du nur ein Bild, das dich an eine Begebenheit aus deiner Vergangenheit erinnert.

JONAS Ich habe gesagt, ich möchte auch gesellschaftskritische Bilder kaufen. Richter ist zum Beispiel nicht gesellschaftskritisch.

PAULA Natürlich ist Richter gesellschaftskritisch.

JONAS Richter ist weder gesellschaftskritisch noch ist er nicht gesellschaftskritisch.

PAULA Du glaubst, du kaufst ein Bild wegen dem Mehrwert der Gesellschaftskritik, dabei kaufst du es unbewusst aus einem ganz persönlichen Grund.

JONAS Ich kaufe keine Bilder unbewusst.

PAULA Du glaubst, du kaufst eine rebellische kapitalismuskritische Haltung.

JONAS Das glaube ich nicht.

PAULA Du glaubst, wenn du einen Richter kaufst, bekommst du diese rebellische kapitalismuskritische Haltung mit dazu. Aber was nützt diese rebellische kapitalismuskritische Haltung, wenn man ein Bild nur aus nostalgischen Gründen kauft?

JONAS Ich habe einen Richter gekauft, weil er in der Geschichte der Malerei eine wichtige Position einnimmt.

PAULA Er nimmt bloß in deiner Biographie eine wichtige Position ein.

JONAS Richter hat einen wichtigen Platz in der Kunstgeschichte.

PAULA Er markiert einen bestimmten Punkt in deiner Entwicklung.

JONAS Ich kann ein Bild von Richter von meinen Erlebnissen mit neunzehn trennen.

PAULA Nein. Du kannst nicht abstrahieren. Dir gefällt abstrakte Malerei, aber selbst kannst du nicht abstrahieren. Du kannst nicht von deiner Vergangenheit abstrahieren.

JONAS Ich kann von meiner Vergangenheit abstrahieren.

PAULA Du hast versprochen, nach rationalen Kriterien zu investieren, aber du investiert in etwas, das dich an deinen ersten Kuss erinnert.

JONAS Richter erinnert mich nicht an meinen ersten Kuss.

PAULA Er erinnert dich an deine erste große Liebe. Er erinnert dich an irgendein besonderes Erlebnis, sonst würdest du ihn nicht kaufen wollen. Aber du gibst es nicht zu, sondern du machst daraus ein Geheimnis.

JONAS Ich gebe nichts zu, was nicht stimmt.

PAULA Ein Geheimnis ist kein rationales Argument für einen Bilderkauf.

JONAS Ich habe keine Geheimnisse vor dir.

PAULA Du hast irgendwelche dunklen Geheimnisse und diese dunklen Geheimnisse treiben dich dazu, gefälschte Bilder zu kaufen.

JONAS Ich habe dir gesagt, dieses Bild erinnert mich nicht an meinen ersten Kuss.

PAULA Du hast dunkle Geheimnisse und damit orientierst du dich am Markt. Diese dunklen Geheimnisse vergeuden unser Geld.

JONAS Bis jetzt haben wir noch nichts verloren.

7

PAULA Du hast einen Richter gekauft, weil du dich damit an eine Zeit erinnern willst, in der du glücklich warst.

JONAS Ich weiß gar nicht mehr, ob ich damals so glücklich war.

PAULA Du idealisierst die Vergangenheit.

JONAS Ich glaube, ich bin jetzt viel glücklicher als damals.

PAULA Du versuchst einen Zustand herzustellen, der dem von damals ähnelt.

JONAS Ich kann mich an den Zustand von damals gar nicht mehr genau erinnern.

PAULA Man kann das nicht wiederholen.

JONAS Ich will auch nichts wiederholen.

PAULA Du trauerst irgend etwas nach, das längst vergangen ist. Aber in der Gemütsverfassung des Trauerns kann man keine vernünftigen Kaufentscheidungen treffen.

JONAS Ich trauere gar nichts nach. Ich erinnere mich bloß gern an diese Zeit.

PAULA Wenn du Bilder kaufst, die dich an eine Zeit erinnern, in der du glücklich warst, dann bedeutet das, dass du mit deinem Leben jetzt unzufrieden bist.

JONAS Ich bin nicht unzufrieden. Im Gegenteil. Die Firma entwickelt sich großartig.

PAULA Die Firma entwickelt sich viel besser als erwartet. Das stimmt. Trotzdem bist du unzufrieden.

JONAS Dazu hätte ich keinen Grund.

PAULA Du hast einen Richter gekauft, um in andere Gefühlswelten zu entfliehen.

JONAS Ich habe einen Richter gekauft, um die Sammlung aufzuwerten.

PAULA Kunst stellt eine Parallelwelt dar und du versuchst, in diese Parallelwelt zu entfliehen.

JONAS Ich habe dir schon gesagt, dass Richter ein sehr wichtiger Künstler ist. Keine große Sammlung kommt ohne ein Bild von ihm aus.

PAULA Du ziehst dich in eine gefühlsintensive Parallelwelt zurück. Das ist nicht der richtige Ort, um rationale Anlageentscheidungen zu treffen. Du hast versprochen, durch Investitionen in Bilder und Skulpturen unser Anlagevermögen zu vermehren.

JONAS Ja. Wenn es möglich ist.

PAULA Bis jetzt hast du durch Investitionen in Bilder und Skulpturen bloß die Anzahl der Bilder und Skulpturen vermehrt.

JONAS Ich sammle.

PAULA Ich weiß, dass du sammelst.

JONAS Sammeln erfordert Zeit.

PAULA Du kannst nicht immer nur kaufen, sondern du musst irgendwann auch einmal verkaufen.

JONAS Ich verkaufe nur, wenn die Preise oben sind.

PAULA Die Preise sind ganz oben.

JONAS Sie werden noch steigen.

PAULA Der Markt ist überhitzt. Das weißt du.

JONAS Der Markt ist noch immer hungrig.

PAULA Du musst die Gewinne realisieren.

JONAS Zum richtigen Zeitpunkt.

PAULA Du hast nostalgische Erinnerungen an irgendwelche Gefühle gekauft. Aber du weigerst dich, diese nostalgischen Erinnerungen jetzt zu realisieren.

JONAS Zum richtigen Zeitpunkt.

PAULA Wenn der Markt zusammenbricht, ist es dafür zu spät.

JONAS Der Markt wird nicht zusammenbrechen.

PAULA Dass so viele Fälschungen im Umlauf sind, ist ein Zeichen dafür, dass er bald zusammenbrechen wird.

JONAS Die Fälschungen sind ein Zeichen dafür, dass er noch immer gesund ist.

PAULA Realisiere endlich deine nostalgischen Erinnerungen.

JONAS Ich warte den richtigen Zeitpunkt ab.

PAULA Du willst mich nur beruhigen.

JONAS Der richtige Zeitpunkt ist kurz bevor der Markt zusammenbricht.

PAULA Du hast gesagt, dass, wer Kunstwerke kauft, eine emotionale Rendite erhält. Ich brauche keine emotionale Rendite.

JONAS Eine Kunstsammlung bringt ganz selbstverständlich auch eine emotionale Rendite. Das habe ich gesagt.

PAULA Ich will keine emotionale Rendite.

JONAS Bilder bringen eine emotionale Rendite.

PAULA Das ist nur eine Ausrede dafür, dass du nicht mit einer tatsächlichen Rendite rechnest.

JONAS Ich weiß nicht, warum du dir solche Sorgen machst.

PAULA Weil diese Sorgen gerechtfertigt sind. Der Richter ist nur der Anfang der falschen Entscheidungen. Du wirst eine falsche Entscheidung nach der anderen treffen. Und vielleicht hast du schon viele falsche Entscheidungen getroffen. Ich will nicht alles verlieren, nur weil du dich nicht von deinem ersten Kuss befreien kannst. Oder weil du dich nicht von der Augenfarbe deiner ersten Freundin befreien kannst.

JONAS Ich kann mich an ihre Augenfarbe gar nicht mehr erinnern.

PAULA Wegen dieser nostalgischen Träumerei werden wir alles verlieren. Malerei ist etwas für vergangenheitsseelige Träumer.

JONAS Richter nicht.

PAULA Malerei ist etwas für introvertierte Menschen, die Angst vor der Zukunft haben.

JONAS Gerhard Richter nicht.
PAULA Wir werden auf diesem Bild und allen anderen sitzen bleiben. Wir werden auf deinen Erinnerungen an deinen ersten Kuss sitzen bleiben.

JONAS Warum kannst du das Bild nicht einfach genießen?

PAULA Ich kann nicht gleichzeitig berechtigt Angst haben und diese Angst genießen.

JONAS Du musst die Aura genießen.

PAULA Was für eine Aura?

JONAS Genieß die Aura des Bildes.

PAULA Ich spüre keine Aura.

JONAS Weil du Angst hast.

PAULA Weil es eine Fälschung ist.

JONAS Es ist noch nicht sicher, dass es eine Fälschung ist.

PAULA Eine Fälschung hat keine Aura.

JONAS Ich spüre die Aura.

PAULA Du lügst.

JONAS Ich spüre etwas. Sonst hätte ich das Bild nicht gekauft.

PAULA Das habe ich mir gedacht. Du triffst Entscheidungen danach, ob du etwas spürst.

JONAS Es ist nicht verboten, etwas zu spüren.

PAULA Du solltest es dir verbieten. Du solltest dir verbieten, etwas zu spüren.