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Dein Anteil an der Beute ist ein totes Pferd

Hörstück und Installation gemeinsam mit der Künstlergruppe G.R.A.M. im Stadtmuseum Graz 2011/12

© Text Robert Woelfl Alle Rechte beim Autor

Sie haben gesagt, dass ich Ihnen gefalle. Und Sie haben gesagt, dass Sie mich begehren. Sie haben mich gebeten, mich hinzulegen und die Augen zu schließen. Dann sind Sie in mich eingedrungen und haben mich privatisiert. Sie haben mich so lange privatisiert, bis mir Hören und Sehen verging und ich nicht mehr wusste, wer ich war. Sie haben zu mir gesagt, dass ich Ihnen vertrauen und Ihnen Tür und Tor öffnen soll. Sie haben verlangt, dass ich mich Ihnen völlig hingeben soll, denn nur so können Sie, haben Sie mir erklärt, mit Ihrer Strategie erfolgreich sein. Sie sind in mich eingedrungen und haben mich neu aufgestellt. Sie haben mein Produktprogramm ausgedehnt und mich diversifiziert. Sie haben mich auf mehrere Standorte aufgeteilt. Sie haben mich über die ganze Welt verstreut. Sie haben Teile von mir verkauft und dann wieder irgendwo etwas für mich dazu gekauft. Ich bin in neue Märkte eingedrungen. Ich bin gewachsen und dann wieder geschrumpft. Ich wurde größer und dann wieder kleiner. Alles nur zu meinem Vorteil, haben Sie mir erklärt. Sie haben sich viel für mich ausgedacht. Sie sind ja sehr kreativ. Sie sind jemand mit tausend Ideen. Wenn Sie einmal eine Idee abwerfen, wächst an Ihrem Kopf sogleich eine neue nach. Sie hören niemals auf, einfallsreich zu sein. Sie haben mich so lange verändert, bis ich jemand anderes oder gar niemand mehr war und ich nicht mehr wusste, was ursprünglich mein Zweck gewesen ist. Das alles habe ich für Sie getan. Und jetzt sind Sie erst nicht mit mir zufrieden.

Sie sind in mich eingedrungen und in meinen Stockwerken auf und ab gerannt, um sich alles genau anzusehen und nachzusehen, welche der Maschinen in mir sich noch verwenden lassen. Sie haben mich genau untersucht, um herauszufinden, wozu man mich gebrauchen kann. Sie haben die Fenster geöffnet, damit ein frischer Wind in mir weht. Sie haben die Wände weiß gestrichen, damit man sieht, dass eine neue Zeit angebrochen ist. Ich wurde vor langer Zeit aus Ziegelsteinen gebaut und ursprünglich war es mein Zweck, Schuhe herzustellen. Menschen brauchen Schuhe und bezahlen dafür. Das ist eine einfache Rechnung. Ich bin nicht sentimental. Ich sage nicht, dass früher irgend etwas besser war. Eine lange Zeit habe ich Schuhe hergestellt. Schuhe für junge und alte Menschen, Schuhe mit hohen Absätzen und Schuhe, um damit Berge zu besteigen. Nach den Schuhen habe ich Waschbecken produziert. Danach waren es Tabletten, danach Autoreifen, danach Badehosen, danach Orangensaft. Ich kann mich nicht mehr an alles erinnern. In einem Haus mit vier Wänden und einem Dach und Menschen, die bereit sind, selbst für wenig Lohn jede Arbeit zu tun, lässt sich vieles herstellen. Ich produziere alles, was sich produzieren lässt. Die Zahlen müssen stimmen. Es hat keinen Sinn darauf zu achten, welche Produkte in den großen Hallen gefertigt werden, man muss im Büro die Bücher lesen. Wenn die Zahlen nicht stimmen, hetzen sie die Hunde auf das Haus.

Sie sind in mich eingedrungen, um mich zu privatisieren. Gut. Aber ich verstehe nicht, dass Sie noch immer Ihre Hose offen haben. Die Party ist vorbei. Ich liege schon die längste Zeit auf dem Boden und Sie wollen noch immer weitermachen. Wie stellen Sie sich das vor? Ich bin der Rest. Ich bin die leeren Plastikbecher und die Teller aus Pappe. Es ist nichts mehr übrig, an dem man sich satt essen kann. In den Flaschen ist kein Wein mehr. Die Blumen lassen die Köpfe hängen. Selbst die Brotkrumen hat jemand aufgepickt. Die Gäste haben gründliche Arbeit geleistet. Jetzt wäre es Zeit, aufzuräumen. Aber ich bin dafür zu schwach. Ich habe keine Kraft mehr aufzustehen. Vor allem, ich habe keine Lust dazu. Sie im Gegenteil scheinen noch immer Lust zu haben. Vergeht Ihnen denn nie die Lust? Das ist verblüffend. Statt dass Sie sagen: Es war eine schöne Zeit. Wir haben Spaß gehabt. Ich werde, was passiert ist, in guter Erinnerung behalten. Statt dass Sie so denken, müssen Sie immer weitermachen. Wenn Sie aus ihrem Bürofenster schauen, dann wollen Sie am Horizont keinen Sonnenuntergang sehen. Ich weiß schon, das ist Ihr Beruf. Diesen Beruf haben Sie sich ausgesucht und Ihre Eltern haben Ihnen die Ausbildung dafür bezahlt. Ihre Eltern, deren einziger Wunsch es war, dass Sie es einmal besser haben und niemals Hunger leiden müssen. Darunter müssen alle anderen jetzt leiden.

Wenn Sie in Ihrem grauen Anzug aus dem Fenster im siebenunddreißigsten Stockwerk schauen, dann wollen Sie immer weiter und weiter reiten. Das Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde. So oder ähnlich denken Sie. Sie wollen reiten und schießen. Sie wollen Geschäftsberichte lesen und dabei reiten und schießen. Sie brauchen unendlich große grüne Wiesen und satte Renditen. Sie brauchen die Prärie und Sie brauchen Rechtssicherheit. Sie wollen durch Westernstädte reiten, weil Sie ja für den Wohlstand zuständig sind. Sie wollen den Saloon betreten, weil Sie ja für Wachstum sorgen müssen. Sie wollen sich einen Whiskey bestellen, weil Sie ja die Zukunft sichern müssen. Sie haben viele Aufgaben und Ziele. Wenn Sie ein Mädchen mit aufs Zimmer nehmen, dann investieren Sie in zukunftsträchtige Technologien. Wenn Sie den Pianisten erschießen, dann gründen Sie ein neues Unternehmen. Wenn Sie sich auf der Hauptstraße unten ein Duell liefern, dann sind Sie ein Vorbild in Sachen Nachhaltigkeit. Sie ziehen gern um zwölf Uhr Mittag ihren Revolver und lassen ihn in der Sonne glänzen. Und Sie drücken gern ab, um einen Gegner aus dem Weg zu räumen und dem Aufsichtsrat reinen Wein einzuschenken. Nichts ist so wichtig und richtig wie für Ordnung in der Stadt zu sorgen. Sie bringen die Verbrecher hinter Gitter und geben Ihnen nur Wasser und Brot. Sie kurbeln die Wirtschaft an und ziehen sich den Hut ins Gesicht. Sie warten auf die nächsten Banditen, die eine Goldader und eine Auseinandersetzung suchen. Zum Glück für Sie hört der Wettbewerb niemals auf. Sie wollen reiten und schießen. Immer nur reiten und schießen. Und dabei schießen Sie übers Ziel hinaus. Das Pferd, auf dem Sie sitzen und dem Sie grad die Sporen geben, ist tot. Bei einem toten Pferd hilft auch kein Flüstern mehr.

Es wird Ihnen nichts anderes übrig bleiben, als von diesem toten Pferd abzusteigen und hier rüber zu kommen. Sie haben das Haus, in das Sie eingedrungen sind, zum Einsturz gebracht. Was haben Sie jetzt mit den herumliegenden Ziegelsteinen vor? Sie sind verzweifelt und raufen sich die Haare. Sie machen ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. So sind Sie nicht besonders schön anzusehen. Das Makeup des Erfolgs rinnt Ihnen übers Gesicht. So werden Sie nicht so schnell jemanden finden, dem Sie sagen können, dass er Ihnen gefällt und dass Sie ihn begehren. Es wird Ihnen nichts anderes übrig bleiben, als dieses Gebäude Ziegelstein für Ziegelstein wieder aufzubauen. Strengen Sie sich an. Stellen Sie gerade Wände auf und machen Sie das Dach dicht gegen Regen und Sturm. Planen Sie genügend Fenster ein. Errichten Sie ein besseres Haus als das alte. Geben Sie sich Mühe. Wenn es fertig ist, dann wird Ihnen schon etwas einfallen, was man darin herstellen und verkaufen kann. Haben Sie keine Angst, dass Ihnen die Ideen ausgehen könnten. Sie sind doch auch sonst kein ängstlicher Typ. Kein Haus bleibt ungenützt. Kein Geschäft bleibt ungetätigt. Kein Profit bleibt unerwirtschaftet. Wenn Sie die Arbeit erledigt haben, dann wird man Sie mit Lob und Bewunderung überhäufen. Man wird Sie respektieren dafür, dass Sie etwas aus dem harten Boden gestampft haben. Nehmen Sie das Lob ruhig an. Seien Sie mit Recht stolz auf Ihre Leistung. Aber fangen Sie nicht sofort wieder zu reiten und zu schießen an. Reißen Sie nicht gleich wieder Ihre Hose auf, um allen zu zeigen, was Ihre Bestimmung auf dieser Erde ist.