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Mann und Frau in der Hundestellung

Flyer zur Aufführung im Kasino des Burgtheaters

© S. Fischer Verlag, Aufführungsrechte S. Fischer Verlag Theater & Medien
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Kurzstück für das Projekt „Wir machen’s auch ohne! – Hommage an Werner Schwab“ im Burgtheater Kasino Wien, 2003, Regie: Stephan Rottkamp 

Textausschnitt

Drei Frauen (A, L, M) und drei Männer (B, R, S)

L  Diese schöne junge Frau ist auf der Suche. Ihr fehlt noch etwas.

S  Das ist noch nicht das richtige Leben.

L  Das richtige Leben, wann beginnt das denn endlich?

S  Es sollte schon vor einiger Zeit begonnen haben, aber das richtige Leben hat sich schon wieder einmal verspätet.

L  Entweder es funktioniert jetzt bald mit dem richtigen Leben, oder sie lässt es bleiben.

S  Ja. Entweder das wird jetzt was, oder sie haut wieder ab.

L  Das ist einfach noch nicht das Leben, auf das sie Anspruch hat.

S  Aber das wird schon.

L  Diese schöne junge Frau hat einen schönen jungen Mann kennengelernt und bildet jetzt mit ihm ein schönes junges Paar.

S  Das schöne Paar wird ausnahmslos schöne Kleidung tragen und ausnahmslos nur andere schöne Paare treffen.

L  Das sind sie sich schuldig.

S  Das schöne Paar wird auch einen schönen Geschlechtsverkehr haben. Das sind sie sich genauso schuldig.

L  Sie geben ein schönes Bild ab. Das ist ihnen wichtig. Darauf legen sie wert. Warum nicht?

S  Ein Bild wie aus dem Bilderbuch.

L  Aber wer will denn noch diese ganzen schönen Bilder sehen?

S  Das wird schon alles.

L  Diese ganzen Wünsche.

S  Die werden schon in Erfüllung gehen. Keine Angst.

L  Sie geben sich so viel Mühe und sie glauben so fest daran.

S  Woran eigentlich?

L  Sie werden auch nie mehr aufhören, daran zu glauben.

S  Vielleicht sollten sie das aber.

L  Die schöne junge Frau und der schöne junge Mann haben jetzt eine Beziehung.

S  Dabei müssten sie das gar nicht haben.

L  Sie hätte ihn nicht ansprechen müssen. An diesem Donnerstag.

S  Er hätte ihr nicht zuhören brauchen.

L  Sie hätte nicht versuchen müssen, sich interesssant zu machen, seine Neugier zu wecken. Sie hätte es bleiben lassen können.

S  Er hatte die Wahl. Er hatte Zeit, darüber nachzudenken. Er hatte einige Male Gelegenheit, es zu beenden.

L  Sie hätte ihn nicht so zu drängen brauchen.

S  Er hätte nicht mit ihr essen gehen müssen und sie hätte nicht zu ihm sagen müssen, dass sie ihn mag.

L  Sie hätte ihn nicht zu sich nach Hause einladen müssen.

S  Und er hätte diese Einladung nicht annehmen müssen. Das hätte alles einen ganz anderen Weg nehmen können, nicht diesen Weg.

L  Sie liegen jetzt nebeneinander im Bett, dabei müssten sie das gar nicht. Sie müsste jetzt nicht seinen Schwanz in den Mund nehmen. Sie müsste sein Zeugs nicht schlucken und sie müsste nicht so tun, als würde sein Zeugs gut schmecken.

S  Und er müsste nicht so tun, als wäre das etwas ganz Besonderes, dass sie das tut.

L  Das ist nichts Besonderes.

S  Das ist überhaupt nichts Besonderes.

L  Diese schöne junge Frau sucht auf der ganzen Wiese nach einem Vierklee.

S  Dabei gibt es hier doch gar keinen Vierklee.

L  Das ist verrückt.

S  Ich habe hier jedenfalls noch nie einen gesehen.

L  Ich glaube, es gibt auch auf der anderen Wiese keinen.

S  Wahrscheinlich nicht.

L  Das ist verrückt.

S  Warum sucht sie nicht nach etwas anderem?

L  Sie könnte aufstehen und gehen.

S  Und er könnte aufstehen und gehen.

L  Aber sie macht weiter und er macht weiter.

S  Jetzt, wo sie doch mittendrin sind. Genau in der Mitte. Wo sie endlich in der Mitte sind. In der Mitte, wo es am wärmsten ist.

L  Sie passt nur auf, dass sie keine Fehler macht.

S  Fehler sind nicht schön.

L  Ist das jetzt endlich das richtige Leben.

S  Kein Schatten lässt zu, dass man über ihn drüberspringt.

L  Keine Chance erlaubt, dass man sie ergreift.

S   Sie ficken, obwohl sie das nicht müssten.

L  Aber sie ficken, um das abhaken zu können.

S  Das Licht der kleinen Lampe ist trüb. Warum muss immer irgendwo eine kleine Lampe eingeschaltet sein?

L  Die Farben im Zimmer sind gelb, braun, blau. Die Farben sind eigentlich schön.

S  Das Sofa und die Fauteuils sind neu. Unlängst erst gekauft. Von drei Monatsgehältern.

L  Sie hat sich schon Sorgen gemacht. Und er hat sich auch schon Sorgen gemacht.

S  Vielleicht ist irgend etwas nicht in Ordnung.

L  Weil das mit dem Ficken so lang gedauert hat.

S  Ihre inneren Stimmen sprechen und sprechen.

L  Diese inneren Stimmen sprechen allerdings immer eine Fremdsprache.

S  Das Ficken ist gut für die Muskeln.

L  Das Ficken ist gut für die Figur.

S  Das ist schon alles richtig so.

L  Sie ficken und schwitzen dabei. Sie ficken, um alle Bedenken aus der Welt zu schaffen.

S  Und sie beeilen sich.

L  Danach liegt jeder auf seiner Seite des Bettes und ist froh, dass das mit dem Ficken gutgegangen ist.

S  Keine Angst.

L  Ja. Keine Angst.

S  Dieser Film geht gut aus.

 

M  Während der ganzen Zeit sitzt jemand auf dem Bettrand und sieht den beiden bei ihrem Geschlechtsverkehr zu. Gut, dass sie ihn nicht sehen können, gut, dass sie nicht erschrecken. Es ist der Engel, der sie beschützt. Es ist ihr Security-Typ. Er trägt einen blauen Overall, darunter das übliche weiße T-shirt, schwarze Springerstiefel, die unvermeidliche dunkle Sonnenbrille. Am Rücken durchbrechen zwei schöne Flügel den Stoff des Overalls. Er ist muskulös, das sieht man sofort. Seine Anwesenheit hier kostet die beiden nichts. Gut, dass sie gar keine Ahnung von ihm haben, sonst hätten sie vielleicht ein schlechtes Gewissen, diese Dienstleisung in Anspruch zu nehmen und nicht dafür zu bezahlen. Sie fühlen sich vollkommen unbeobachtet, das ist auch besser so für ihren Geschlechtsverkehr. Er wird sich ihnen nicht zu erkennen geben. Die beiden gehen die verschiedenen Stellungen der Reihe nach durch, es gibt kaum Missverständnisse. Das ist nicht das erste Mal, dass sie miteinander schlafen, sie sind schon gut aufeinander eingespielt, sie sind ein Team. Sie rudern ihr Boot zügig den Fluss entlang, immer in der Mitte des Flusses, was rechts und links am Ufer ist, das sehen sie nicht. Der Rhythmus stimmt. Der Rhythmus muss stimmen. Der Rhythmus ist das Wichtigste. Der Engel wird sie beide beschützen, mit seinen muskulösen Armen wird er sie wieder rechtzeitig voneinander trennen. Er wird sie davor beschützen, sich ineinander zu verlieben.

 

A  Diese Frau und dieser Mann haben sich vor einiger Zeit kennengelernt, am Beginn des Jahrhundertsommers, jetzt bleiben sie zusammen für die nächsten hundert Jahre.

R  Diese Frau und dieser Mann sind nicht mehr sehr jung.

A  Sie sitzen nicht mehr auf den Pferden, die mit ihnen durchgehen könnten. Sie sitzen auf berechenbaren Stühlen.

R  Diese Frau und dieser Mann sind vernünftig.

A  Warum sind die eigentlich so vernünftig?

R  Diese Frau und dieser Mann haben füreinander einen Haufen Koseworte.

A  Immer wieder einmal nehmen sie einander an der Hand.

R  Ganz plötzlich.

A  Immer wieder einmal geben sie sich einen Kuss.

R  Auf der Straße oder im Einkaufszentrum. Das tun die anderen ja auch.

A  Diese Frau und dieser Mann erzeugen im anderen die jetzt passenden Gefühle.

R  Diese Frau und dieser Mann glauben, dass sie allein sind auf der Welt.

A  Wohin sind die anderen verschwunden?

R  Diese Frau und dieser Mann schauen sich die ganze Zeit an und können einander noch immer sehen.

A  Aber diese Frau und dieser Mann haben nicht mehr sehr viel Zeit.

R  Sie haben einen Wunsch.

A  Sie haben doch dauernd irgendwelche Wünsche.

R  Diesen wunderbaren, wunderschönen Wunsch. Diesen so verständlichen Wunsch. Wer diesen Wunsch noch nicht gehabt hat. Wer das noch nicht gespürt hat. Wer das noch nicht empfunden hat. Wer das nicht kennt. Diesem Wunsch kann sich niemand entziehen. Dieser Wunsch ist viel zu stark.

A  Diese Frau und dieser Mann wollen sich fortpflanzen.

R  Sie wollen etwas pflanzen in ihrem Garten, in dem kleinen Garten vor ihrem Haus, das Recht dazu haben sie. Der Garten ist noch leer.

A  Nichts anderes wünschen sie sich. Von nichts anderem sind sie erfüllt.

R  Nichts anderes ist ihnen so wichtig.

A  Es ist eben wichtig, wichtig, wichtig.

R  Alles andere ist ihnen eigentlich scheißegal.

A  Schon der Wunsch allein macht sie glücklich.

R  Diese Frau und dieser Mann werden sich verewigen. In einer anderen Frau oder einem anderen Mann.

A  Ist das eigentlich eine fixe Idee?

R  Hoffentlich dauert die Ewigkeit auch lange und hört nicht irgendwann plötzlich auf.

A  In einer anderen Frau oder einem anderen Mann werden diese Frau und dieser Mann ihre Fußabdrücke hinterlassen.

R  In einem weichen Boden.

A  In einem lehmigen Boden.

R  In einem Boden, der sich nicht wehren kann.

A  Das ist egal.

R  Diese Frau und dieser Mann werden nicht aussterben.

A  Dafür werden sie sorgen.

R  Diese Frau und dieser Mann sind die ersten Dinosaurier, die nicht aussterben werden.

A  Sie werden nicht aussterben und können deshalb ganz beruhigt sterben.

R  Endlich können sie sterben.

A  Von nun an sind sie nie mehr tot.

R  Bis zum Sterben haben sie aber noch etwas Zeit. Jetzt sollten sie sich endlich fortpflanzen.

A  Darauf hätten sie fast vergessen.

R  Hoffentlich können sie das.

A  Warum sollten sie das nicht können?

R  Hoffentlich gelingt es ihnen.

A  Diese Frau und dieser Mann werden es genau so machen wie die anderen Frauen und Männer. So wie auf dem Beipackzettel beschrieben.

R  Was die anderen können, das können sie auch.

A  Vielleicht.

R  Hoffentlich funktioniert es.

A  Vielleicht versagen sie aber auch.

R  Und stehen dann wie die Arschlöcher da.

A  Das darf ihnen nicht passieren.

R  Das wird ihnen schon nicht passieren.

 

L  Sie hat es ihrer Mutter versprochen, schon vor langer Zeit zum ersten Mal, dann immer wieder, jede Woche ein Mal. Die Mutter erinnert sie auch daran, von Mutter zu Tochter, von Schwester zu Schwester, von Feind zu Feind. Dieses Versprechen muss gehalten werden. Sie hat jetzt nichts mehr dagegen, diese Schlacht ist längst verloren für sie. Jetzt geht es um den Frieden nach dem Krieg. Sie soll endlich ein Kind bekommen, ihr ist alles recht. Sie bekommt alles mögliche, Wutanfälle, Existenzängste, Schreikrämpfe, ein Kind ist nicht darunter. Das wird nichts, sagt sie zu ihrer Mutter, das wird nichts mehr. Das tut mir leid. Das tut mir so leid für dich. Ich habe mir doch wirklich Mühe gegeben. Bald ist es aus. Bald ist es zu spät. Sie wird das nicht mehr schaffen. Die Sterblichen sind doch sterblich und sie sterben schon eine lange Zeit vor dem Tod. Da ist nur Winterluft. Das ist die ewige Unruhe und die Toten sitzen auf Nadeln und möchten wissen, wie es mit den Lebenden weitergeht. Die Toten übertreffen die Lebenden in Sachen Egoismus. Was sollen die Toten halten von jemandem, der keine Kinder bekommt. Dafür sind sie nicht gestorben. Das ist doch ein Witz.

 

B  Er hat ihr versprochen, dass sie sich fortpflanzen werden. Erst vor kurzem hat er es wieder zu ihr gesagt. Sie hat ihn darum gebeten, im Badezimmer am Abend. Sie werden sich fortpflanzen, das steht jetzt fest. Sie wollen es beide. Er hat sich nicht von ihr überreden lassen, dieses Gefühl hat er nicht. Es ist auch sein eigener Wunsch. Irgendwie. Das heißt, er weiß es nicht so genau. Warum denkt er auch darüber nach? So ein Wunsch gehört ja nicht nur einem selbst. Der gehört auch den anderen, oder vor allem den anderen. Der gehört einer großen Stadt, einem Bundesland. Der gehört der ganzen Bevölkerung. Das weiß er schon. Es hat also gar keinen Sinn, dass er versucht dieses Blatt zu fangen, das vom Wind durch die Luft gewirbelt wird. Lass es bleiben. Er hat es seiner Frau versprochen, aber er wird das Versprechen nicht halten können. Dazu müssten sie einmal miteinander schlafen, vielleicht einmal abends oder an einem Sonntag vormittag. Sie hätten oft Gelegenheit dazu, sehr oft. Warum kommt es dann nicht dazu? Er weiß es nicht, er kann sich das nicht erklären. Er wird sein Versprechen jetzt nicht einlösen können. Obwohl er sich so bemüht. Er liebt sie ja, er liebt sie noch mehr als früher. Aber diese Liebe hilft ihm jetzt nicht.