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Jekyll und Hyde

Bericht über die Inszenierung von „Jekyll und Hyde“ am Theater Basel 2009
mit Dirk Glodde, Hanna Eichel und Atef Vogel
Regie: Alexander Nerlich

Dirk Glodde und Atef Vogel am Theater Basel, 2009 (Foto: Simon Hallström)

© S. Fischer Verlag, Aufführungsrechte S. Fischer Verlag Theater & Medien
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Textausschnitt

1

In Jekylls Labor.

UTTERSON Das Verbrechen hat kurze Beine. Das sprechen wir den Kindern in die Ohren. Damit sie es ein Leben lang glauben. Wir können froh sein, daß das kleine Bewußtsein solche Sätze gierig trinkt. Das Gesetz sieht alles. Und es hat Hände, die zuschlagen können. Härte schafft Klarheit. Eine Welt, in der man sich zurechtfinden kann. Das Gesetz erschafft die Unterschiede. Es trennt das Falsche vom Richtigen. Es arbeitet präzise wie ein Chirurg. Das Gesetz kennt kein Mitleid. Aber es kennt die Güte. Es schenkt dem Verbrecher die Strafe. Hinter dieser Schwelle hat man nichts mehr zu befürchten. Die Strafe holt den Verbrecher in die Ordnung zurück. Was nützt einem die Freiheit auf dem Meer, wenn man von der nächsten Welle geschluckt werden kann. Der Verbrecher spielt Gott. Er nimmt sich, was er will. Aber mit jedem Handgriff verliert er von seiner Zeit. Mit jedem Schritt sinkt er tiefer im Sand. Ein trotziges Kind, das mit bleiernen Schwimmflügeln zu schwimmen versucht. Nur die Strafe gibt dem Verbrecher die Zeit zurück. Ich sitze im Park und betrachte die Platanen. Ich schäle mir eine Orange und denke genußvoll die Minuten. Das Gesetz läßt sich vieles gefallen. Die Verbrecher tanzen mir auf dem Kopf. Ich hindere sie nicht daran. Am Ende fallen sie mir ganz von selbst in die Hand. Am Ende kehrt alles in die Ordnung zurück.

JEKYLL Bist du dir wirklich sicher?

UTTERSON Worüber?

JEKYLL Warum bist du dir so sicher?

UTTERSON Worüber, Jekyll?

JEKYLL Man kann sich niemals hundertprozentig sicher sein.

UTTERSON Worüber? Worüber?

JEKYLL Es könnte doch auch ein anderer sein.

UTTERSON Ein anderer als wer?

JEKYLL Jedes Mal zum Beispiel ein anderer.

UTTERSON Wer soll jedes Mal ein anderer als ein anderer sein?

JEKYLL Ein anderer könnte seinen Namen benützen.

UTTERSON Unsinn.

JEKYLL Er verwendet einfach seinen Namen.

UTTERSON Unsinn.

JEKYLL So lange man nicht weiß, wer es ist, kann man auch nicht wissen, ob er wirklich so heißt, wie er sich nennt.

UTTERSON Unsinn, Jekyll.

JEKYLL Wahrscheinlich ist es ein anderer.

UTTERSON Es ist Hyde. Immer nur Hyde. Und Hyde ist Hyde und nicht jedes Mal ein anderer.

JEKYLL Du hast mich um meine Meinung gefragt.

UTTERSON Warum schneidet er sie auf?

JEKYLL Warum fragst du mich das?

UTTERSON Warum bringt er sie um?

JEKYLL Warum bringen andere andere um?

UTTERSON Es hat immer Gründe. Ganz bestimmte Gründe. Auch wenn sie so klein wie ein Stecknadelkopf sind. Auch wenn sie kleiner sind als das Kleinste, das man sich vorstellen kann. Es hat alles immer einen Grund.

JEKYLL Was hat er für einen Grund?

UTTERSON Ich kenne ihn noch nicht.

JEKYLL Vielleicht gibt es gar keinen Grund.

UTTERSON So mir nichts dir nichts ohne Grund. Das gibt es nicht.

JEKYLL Wer keinen Grund dazu hat, kann es auch nicht gewesen sein.

UTTERSON Wer soll es nicht gewesen sein?

JEKYLL Du hast mich um meine Meinung gefragt.

UTTERSON Du hast mir deine Meinung noch gar nicht gesagt.

JEKYLL Du wirst ihn vielleicht niemals finden.

UTTERSON Jede Ratte hat ihr Loch. Irgendwann findet man das Loch und dann holt man die Ratte dort heraus.

JEKYLL Du kennst seinen Namen. Weil er seinen Namen auf ihre Körper schreibt. Das ist alles, Utterson.

UTTERSON Das ist die erste Spur.

JEKYLL Die erste Spur kann schon eine falsche Spur sein.

UTTERSON Ich verfolge jede Spur.

JEKYLL Wie willst du einen Namen finden?

UTTERSON Ich finde ihn.

JEKYLL Vielleicht findet man ihn nie.

UTTERSON Ich muß es.

JEKYLL Ich weiß.

UTTERSON Ich muß es.

JEKYLL Ja, ich weiß.

UTTERSON Warum hat er sie aufgeschnitten?

JEKYLL Ich weiß es nicht.

UTTERSON Weil es ihm plötzlich so eingefallen ist?

JEKYLL Ich weiß es nicht.

UTTERSON Weil er neugierig ist?

JEKYLL Keine Ahnung.

UTTERSON Um hineinzuschauen?

JEKYLL Vielleicht.

UTTERSON Was gibt es da zu sehen?

JEKYLL Gar nichts.

UTTERSON Was steht ihm da im Weg?

JEKYLL Was?

UTTERSON Vielleicht weil es zum Lachen ist.

JEKYLL Vielleicht.

UTTERSON Weil wir lächerlich sind.

JEKYLL Ja.

UTTERSON Weil er an uns etwas zum Lachen hat.

JEKYLL Ja.

UTTERSON Ich weiß es nicht. Ich weiß es einfach nicht. Ich denke jeden Gedankengang bis an sein Ende und komme immer am Anfang an. Ich weiß es nicht. Ich träume jede Nacht von ihm. Ich schlafe ein und warte auf den Traum. Wir gehen gemeinsam durch die Stadt. Ich spüre, es ist kalt. Es könnte Winter sein. Vielleicht tragen wir auch Mäntel. Ich spüre, ich friere. Ich gehe hinter ihm. Ich sehe immer nur seinen Rücken. Wir betreten ein Haus. Er öffnet die Tür und ich schlüpfe hinter ihm hinein. Im Inneren des Hauses ist es warm. Ich versuche, sein Gesicht zu sehen. Aber es gelingt mir nicht. Ich versuche, mich vor ihn zu stellen. Aber mit jedem Schritt ist er mir schon einen Schritt voraus. Ich wache auf und ich habe sein Gesicht wieder nicht gesehen. Wir werden uns wiedertreffen. In der darauffolgenden Nacht. Als hätten wir uns dazu verabredet in der Nacht zuvor. Ich schlafe ein und ich warte auf ihn.

JEKYLL Du beschäftigst dich zu sehr damit. Du beschäftigst dich viel zu sehr damit.

UTTERSON Was glaubst du? Träumt er auch von mir?

JEKYLL Er träumt wahrscheinlich gar nicht.

UTTERSON Nur Engel träumen nicht.

JEKYLL Ich glaube nicht, daß er träumt.

UTTERSON Wir fallen ins Bett, um zu schlafen. Wir schlafen, um zu vergessen. Wir vergessen, damit wir am nächsten Morgen wieder erwachen können. Die Nächte sollen die Tage voneinander trennen. Die Nächte erschaffen den Unterschied zwischen einem Tag und dem nächsten. Wer träumt, lebt immer am selben Tag. Wer träumt, lebt an einem einzigen endlosen Tag. Ich sitze sehr oft am Nachmittag im Park. Um mich zu entspannen. Um nachzudenken. Hast du dir jemals im Park die Platanen angesehen? Wenn man zum Beispiel daran denkt, daß die Äste wahrscheinlich genau dieselbe Form haben wie die Wurzeln unter der Erde. Daß sie sich also zu den Wurzeln spiegelbildlich verhalten. Daß sie unten in der Dunkelheit ein genau entsprechendes Gegenstück haben. Hast du noch niemals darüber nachgedacht?

JEKYLL Über die Platanen im Park?

UTTERSON Du verbringst zuviel Zeit mit deinen Fliegen.

JEKYLL Das ist meine Arbeit.

UTTERSON Was machst du eigentlich mit ihnen?

JEKYLL Ich untersuche sie.

UTTERSON Sind sie krank?

JEKYLL Es ist ein Forschungsprogramm.

UTTERSON Du reißt ihnen die Beine aus. Habe ich recht?

JEKYLL Manchen von ihnen.

UTTERSON Und auch die Flügel.

JEKYLL Ja.

UTTERSON Du bringst sie um.

JEKYLL Die anderen werden besser sein.

UTTERSON Warum bringst du sie um?

JEKYLL Das Besondere an allem ist, daß es besser werden kann.

UTTERSON Als Kind habe ich sie in eine kleine Schachtel gesteckt, um Gefangene zu haben.

JEKYLL Alles gibt es nur, damit es besser wird. Wir werden auch einmal besser sein. Viel besser sogar.

UTTERSON Ich finde ihn, Jekyll. Ich finde ihn. Und dann bringe ich ihn um.

2

In einem Restaurant.

IVY Du bist zu spät.

JEKYLL Worauf hast du Appetit?

IVY Du bist schon wieder zu spät.

JEKYLL Ich habe mich schon den ganzen Tag darauf gefreut.

IVY Du bist jedes Mal zu spät.

JEKYLL Also worauf hast du Appetit?

IVY Jedes Mal bist du um mindestens zehn Minuten zu spät.

JEKYLL Hast du dich auch darauf gefreut?

IVY Du bist heute um elf Minuten zu spät.

JEKYLL Ich habe in jeder Minute an dich gedacht.

IVY Warum kommst du immer zu spät?

JEKYLL Nicht immer, Ivy. Nicht immer.

IVY Doch. Jedes Mal. Und jedes Mal, das ist immer.

JEKYLL Worauf hast du jetzt Appetit?

IVY Wie viele Minuten, glaubst du, kann ein geübter Taucher die Luft anhalten?

JEKYLL Unter Wasser?

IVY Wieviel?

JEKYLL Warum denkst du über solche Dinge nach?

IVY Ich glaube, wenn man zum Beispiel von einem Schiff oder einem Boot ins Wasser springt. Wenn man ins Wasser springt, um sich zu ertränken. Dann wird man trotzdem unten die Luft anhalten. So lange man kann. Das ist wie ein Reflex. Selbst wenn man mit der vollen Absicht ins Wasser springt. Glaubst du, daß man ins Wasser springen kann, ohne vorher noch einmal ordentlich Luft zu holen?

JEKYLL Es tut mir leid, daß ich zu spät gekommen bin.

IVY Du warst wieder bei den Fliegen.

JEKYLL Das ist meine Arbeit.

IVY Was machst du überhaupt mit ihnen?

JEKYLL Ich züchte sie.

IVY Warum züchtest du nicht etwas anderes?

JEKYLL Ihre Laufgeschwindigkeit beträgt sechzehn Körperlängen pro Sekunde. Umgerechnet auf die Körpergröße eines Sprinters entspricht das beim Hundertmeterlauf einer Zeit von drei komma fünf Sekunden. Habe ich dir das schon einmal gesagt?

IVY Ich glaube, das hast du mir schon einmal gesagt.

JEKYLL Ihr Langzeitgedächtnis ist gegen elektrische Schocks, epileptische Anfälle und gegen Unterkühlung resistent.

IVY Ich glaube, daß interessiert mich nicht.

JEKYLL Ein überwintertes Fliegenweibchen, das angenommen Mitte April mit der Eiablage beginnt, hätte, unter der Voraussetzung, daß sie sich ungestört entwickeln und fortpflanzen können, bis zum September des gleichen Jahres eine Nachkommenschaft von fünf komma sechs Billionen Fliegen. Wenn etwa siebzig Fliegen ein Gramm wiegen, wären das achtzigtausend Tonnen Fliegen.

IVY Das interessiert mich nicht. Das interessiert mich nicht.

JEKYLL Wofür hast du dich entschieden?

IVY Ich habe mich noch nicht entschieden.

JEKYLL Worauf hast du ganz besonderen Appetit?

IVY Ich glaube, ich möchte nichts essen.

JEKYLL Aber deshalb sind wie hier.

IVY Im Moment, bin ich mir sicher, möchte ich nichts essen.

JEKYLL Hast du nicht den kleinsten Appetit?

IVY Nein, ich glaube nicht.

JEKYLL Nicht einmal den allerkleinsten? Nicht einmal die Spur von einem Appetit?

IVY Nein.

JEKYLL Alleine möchte ich nicht essen.

IVY Dann essen wir beide nicht.

JEKYLL Ich habe aber Hunger.

IVY Warum bestellst du dir dann nichts?

JEKYLL Warum halten wir es geheim?

IVY Das haben wir so ausgemacht.

JEKYLL Wir kennen uns jetzt doch schon lange genug.

IVY Wieviel ist lange genug?

JEKYLL Sechs Monate ist lange genug.

IVY Wie lange ist sechs Monate?

JEKYLL Ganz bestimmt lange genug.

IVY Sechs Monate ist zum Beispiel länger als sechs Tage. Sechs Tage ist länger als sechs Stunden. Etwas ist immer länger oder kürzer als etwas anderes. Aber man kann unmöglich wissen, wie lange etwas wirklich ist.

JEKYLL Du hast dir die Fingernägel lackiert.

IVY Gefällt es dir nicht?

JEKYLL Das ist das erste Mal.

IVY Gefällt es dir?

JEKYLL Es sieht wunderschön aus.

IVY Findest du?

JEKYLL Eine wunderschöne Farbe.

IVY Es ist die falsche Farbe. Findest du nicht?

JEKYLL Gib mir deine Hand.

IVY Nein.

JEKYLL Gib sie mir.

IVY Nein, ich glaube nicht.

JEKYLL Sind wir uns dafür nicht schon nahe genug?

IVY Findest du es wirklich gut, wenn man einander so nahe ist? Manchmal bin ich mir selbst so nahe, daß ich mich am liebsten auf den Stuhl daneben setzen würde.

JEKYLL Gib sie mir ein einziges Mal.

IVY Du hast dir deine Hände nicht gewaschen.

JEKYLL Selbstverständlich.

IVY Nein. Du hast sie dir nicht gewaschen.

JEKYLL Selbstverständlich habe ich sie gewaschen.

IVY Die Fingernägel haben aber einen schwarzen Rand.

JEKYLL Ich habe sie mir früher gewaschen.

IVY Dann hast du sie dir nicht gut genug gewaschen.

JEKYLL Ich werde sie mir später noch einmal waschen.

IVY Du warst bei den Fliegen. Und du hast dir die Hände nicht gewaschen. Du warst bei deinen Fliegen. Und du hast dir die Hände nicht gewaschen. Warum kannst du dir die Hände nicht waschen? Unter deinen Fingernägeln sind bestimmt noch Fliegenreste. Ich höre sie. Man kann sie ganz deutlich hören. Du weißt, daß ich ihre Geräusche nicht ausstehen kann. Wenn man stirbt und lebendig begraben ist, dann ißt man vor lauter Hunger die Erde. Und mit der Erde kommen auch die Fliegen in den Mund. Dann sind die Fliegen im Körper und man kann sich nicht dagegen wehren. Dann hört man sie im ganzen Körper.

JEKYLL Entschuldige bitte.

IVY Das nützt jetzt nichts mehr.

JEKYLL Entschuldige bitte.

IVY Jetzt nützt das nichts mehr.

JEKYLL Warum können wir nicht schweigen? Einfach nur schweigen?

IVY Wer schweigt, hat etwas zu verheimlichen.

JEKYLL Ich habe keine Geheimnisse vor dir.

IVY Das würde dir auch nichts nützen. Ich kann Gedanken lesen.

JEKYLL Dann lies sie vor.

IVY Nein. Es sind deine Gedanken.

JEKYLL Nein. Sie gehören dir.

IVY Es tut mir so leid.

JEKYLL Was?

IVY Es tut mir so irrsinnig leid.

JEKYLL Es braucht dir nicht leid zu tun.

IVY Es tut mir so leid.

JEKYLL Ich habe es schon vergessen.

IVY Ich möchte mich entschuldigen.

JEKYLL Wofür?

IVY Ich möchte mich entschuldigen.

JEKYLL Es ist schon vergessen.

IVY Sind wir glücklich?

JEKYLL Selbstverständlich.

IVY So glücklich wie die anderen?

JEKYLL Ich bin glücklich mit dir.

IVY Es tut mir so leid.

JEKYLL Ivy, es gibt ein bestimmtes Wort, daß ich dir sagen will.

IVY Was für ein bestimmtes Wort?

JEKYLL Ein einzelnes Wort.

IVY Ein einzelnes Wort darf man nicht sagen. Nicht absichtlich. Die Wörter dürfen nicht einzeln ausgesprochen werden. Wörter gehören in Sätze.

JEKYLL Laß es mich wenigstens ein einziges Mal sagen.

IVY Einzelne Wörter sind gelogen.

JEKYLL Ein einziges Mal.

IVY Warum willst du mich belügen?

JEKYLL Ich möchte dir das Wort jetzt sagen.

IVY Was du sagst, sieht immer aus wie frisch gewaschen, aber ich weiß, daß auf der Rückseite noch Flecken sind. Woher willst du wissen, daß ich das Wort überhaupt kenne?

JEKYLL Du kennst es.

IVY Hast du es mir schon einmal gesagt?

JEKYLL Hör mir zu.

IVY In Kreuzworträtseln werden auch immer nur einzelne Wörter verlangt. Ich möchte wissen, wie man ein Kreuzworträtsel überhaupt lösen kann.

JEKYLL Hör mir zu.

IVY Ich höre dir zu.

JEKYLL Sieh mir in die Augen.

IVY Warum haben wir noch nichts bestellt?

JEKYLL Sieh mir in die Augen.

IVY Ich möchte jetzt etwas essen.

JEKYLL Was siehst du in meinen Augen?

IVY Der Kellner ignoriert uns einfach. Wir sitzen jetzt seit drei mal zehn Minuten hier und der Kellner hat uns noch kein einziges Mal gefragt.

JEKYLL Siehst du das Wort?

IVY Warum fragt er uns nicht?

JEKYLL Sag mir das Wort.

IVY Warum ignoriert er uns?

JEKYLL Sag es, Ivy. Sag es mir.

IVY Er fragt uns nicht. Er fragt uns nicht, wie man die Luft nicht fragt. Wir sitzen hier wie die Luft und werden nicht gefragt.

JEKYLL Warum sagst du mir nicht das Wort?

IVY Es tut mir so leid. Es tut mir so leid. Ich kann nichts dafür. Glaub mir, ich kann wirklich nichts dafür. Du gibst mir die Schuld. Aber ich kann nichts dafür. Wir werden einfach ignoriert. Er sieht durch uns hindurch. Er sieht uns an und bemerkt uns nicht. Es tut mir so leid. Unter Wasser hält man die Luft nicht länger als zwei Minuten an. Allerhöchstens drei. Unter der Erde hält man die Luft nicht einmal zwei Minuten an.

JEKYLL Möchtest du das Wort denn nicht hören?

IVY Möchtest du, daß wir uns wiedersehen?

JEKYLL Selbstverständlich möchte ich das.

IVY Ich möchte das auch.

JEKYLL Selbstverständlich sehen wir uns wieder.

IVY Ja. Ich möchte das.

JEKYLL Es ist doch selbstverständlich, daß wir uns wiedersehen.

IVY Ich glaube, es ist richtig.

JEKYLL Selbstverständlich.

IVY Findest du?

3

Auf der Straße.

UTTERSON Ganz alleine?

HYDE Geht Sie das etwas an?

UTTERSON Also ganz alleine?

HYDE Sehen Sie sonst noch jemanden?

UTTERSON Ganz alleine also.

HYDE Ja. Ganz alleine.

UTTERSON Hierher kommt niemand allein.

HYDE Niemand, der ängstlich ist.

UTTERSON Sogar streunende Hunde sind hier zu zweit.

HYDE Ich bin keinen Hunden begegnet.

UTTERSON Um diese Zeit sind sie schon zuhause.

HYDE Ich mag auch keine Hunde..

UTTERSON Sie sind eigenartig.

HYDE Wahrscheinlich. Jeder hat eine eigene Art.

UTTERSON Sie sind verdächtig.

HYDE Das sind viele.

UTTERSON Wer hier alleine ist, ist mehr als nur verdächtig.

HYDE Sie sind auch alleine hier.

UTTERSON Das ist mein Beruf.

HYDE Dämlicher Beruf.

UTTERSON Ich habe mich eben so entschieden.

HYDE Dämliche Entscheidung.

UTTERSON Also wohin?

HYDE Suchen Sie Begleitung?

UTTERSON Nicht ironisch werden.

HYDE Ein schnelles Abenteuer vielleicht?

UTTERSON Nicht ironisch werden.

HYDE Sie stehen mir im Weg.

UTTERSON Das ist mein Beruf.

HYDE Es gibt viel zu viele, die anderen den Weg versperren.

UTTERSON Manche gehen auch einen Weg, den sie nicht sollen.

HYDE Ihnen blüht da etwas im Gesicht. Hat Ihnen das heute schon jemand gesagt?

UTTERSON Im Ernst?

HYDE Rechts von der Nase.

UTTERSON Im Ernst?

HYDE Im Ernst.

UTTERSON Danke.

HYDE Keine Ursache.

UTTERSON Ihr Name.

HYDE Edward.

UTTERSON Edward wie?

HYDE Edward Hyde.

UTTERSON Nicht ironisch werden.

HYDE Dann eben nicht.

UTTERSON Ihr Name.

HYDE Edward Hyde.

UTTERSON Edward?

HYDE Edward.

UTTERSON Hyde?

HYDE Sie haben es verstanden.

UTTERSON Wer es glaubt.

HYDE Glauben Sie es.

UTTERSON Ich glaube nur, was ich sehe.

HYDE Sie stehen mir noch immer im Weg.

UTTERSON Ihr Name.

HYDE Henry.

UTTERSON Henry wie?

HYDE Henry Jekyll.

UTTERSON Ach ja?

HYDE Henry Jekyll.

UTTERSON Henry Jekyll. Genauso wie Henry Jekyll?

HYDE Henry Jekyll wie Henry Jekyll.

UTTERSON Wer es glaubt.

HYDE Jetzt stehen Sie mir aber schon zu lange im Weg.

UTTERSON Und? Was wollen Sie dagegen tun?

HYDE Ich schlage Sie zusammen.

UTTERSON Ich bin die Ordnung. Ich bin das Gesetz. Das schlägt man nicht mir nichts dir nichts zusammen.

HYDE Ich bringe Sie um.

UTTERSON Das Gesetz bringt niemand um.

HYDE Ich breche Ihnen das Genick.

UTTERSON Mit diesen Kinderhänden?

HYDE Ich steche dem Schwein in den Hals.

UTTERSON Ich freue mich schon darauf.

HYDE Ich hacke Ihren Körper auf.

UTTERSON Ich bitte Sie darum.

HYDE Ich reiße Ihnen alles heraus.

UTTERSON Das beeindruckt mich nicht.

HYDE Lassen Sie mich vorbei.

UTTERSON Zeigen Sie mir Ihre Augen.

HYDE Ich habe es Ihnen doch schon gesagt. Ich heiße Edward Hyde.

UTTERSON Ich brauche ihm nur ein einziges Mal in die Augen zu sehen.

HYDE Wem denn?

UTTERSON Hyde.

HYDE Was glauben Sie, gibt es dort zu sehen?

UTTERSON Zeigen Sie mir Ihre Augen.

Utterson packt Hyde am Kopf. Hyde schlägt Utterson zusammen.

HYDE In den Augen sieht man nichts.

4

JEKYLL Das Wort, das ich dir gerne sagen möchte. Das ich dir gerne sagen will. Das ich dir unbedingt sagen muß. Von dem ich möchte, daß du es hörst. Das du hören mußt. Das Wort, das ich für dich erfunden habe. Ganz alleine für dich. Das nur dir gehört. Das uns beiden gehört. Das uns gehört. Und niemandem sonst. Das Wort, das alle verwenden. Das niemand außer uns verwenden darf. Das ich in mir spreche, seit ich dich getroffen habe. Das unentwegt in mir spricht. Das Wort, das aus so wenigen Buchstaben besteht. Das kürzer ist als der kleine Finger. Kürzer als sein Fingernagel. Das man in einer Sekunde ausgesprochen hat. Wie nichts. Das jeder aussprechen kann. Vor dem sich keiner scheut, es auszusprechen. Das einer zu einem anderen sagt. Das alle zueinander sagen. Das vollkommen selbstverständlich ist. Das Selbstverständlichste. Ein Wort, das ganz vernünftig klingt. Das jeder kennt. Vor dem man keine Angst zu haben braucht. Vor dem man sich nicht fürchten muß. Das Wort, das so zerbrechlich ist. Zerbrechlicher als jedes andere. Das einen unmöglich verletzen kann. Das niemanden verletzen könnte. Das nichts Böses bewirkt. Das gar nichts Böses bewirken kann. Das gut ist. Das nichts anderes sein kann, als gut zu sein. Das leicht ist. Federleicht. Leichter als jedes andere. Das Wort, das ich dir sagen möchte. Das ich dir sagen will. Ich möchte dir sagen, daß. Das Wort, das ich sagen will. Das Wort ist. Das ich dir unbedingt sagen will. Das Wort ist, das ich dir sagen möchte. Ich möchte, daß das Wort, das ich sagen möchte. Daß das, was ich dir sagen möchte. Das Wort. Ist das Wort, das ich. Das Wort, das ich dir sagen will. Ist das Wort. Ich will, daß du. Das Wort, das ich sage. Das ich zu dir sagen werde. Daß du das Wort. Das ich zu dir sagen werde. Das Wort, daß ich sagen will. Ich möchte. Das einzige Wort, Ivy. Das einzige Wort. Weil es nur ein einziges Wort gibt. Weil man nur ein einziges Wort dazu braucht. Das einzige Wort. Das richtige Wort. Das man sagen muß. Das einer zu einem anderen sagen muß. Das man im richtigen Moment sagen muß. Ein einziges Wort. Nicht mehr.