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Boxende Vasen

© Text Robert Woelfl Alle Rechte beim Autor

Über die Skulpturen von Karl-Heinz Ströhle

Was macht dieses Ding, das da auf dem Boden steht? Dongt man es an, dongt man daran, gibt es nach, duckt sich, runter, tief, fast bis zum Boden, und schnellt dann wieder hoch, höher als zuvor, hoch hinaus, dann sackt es wieder nach unten, schwer, ein dicker Hintern, müde, faul, dann wieder hoch, scheinbar ganz anstrengungslos. Dongt man noch einmal, dongt man an anderer Stelle, wuppt es zurück, nach hinten, ganz, wuppt aber gleich wieder vor, wackelt wie ein Pudding, am ganzen Körper, schüttelt sich, als müsste es Schnee abwerfen, schwingt vor und zurück, gleichmäßig wie ein Metronom. Oder dieses Ding, das von der Decke hängt? Eine Lampe, ein Luster, ein Reifrock, fast so groß wie der ganze Raum, dellt man daran, mit Daumen oder Zeigefinger, dellt man gegen den dünnen Stahl, wabert es, von rechts nach links, zurück und wieder vor, wumpft und wobbelt, am Anfang dumpf, dann hell, das große Ding, eine quietschvergnügte Skulptur. Was für ein Körper, was für ein Volumen, so ein fröhliches Volumen, so gut aufgelegt. Eine große Menge Luft, unbekümmert, unbeschwert. zusammengehalten von Verpackungsbändern, ordentlich verpackt, ein richtiges Paket, abholbereit, fertig zum Versand. Oder dieses Objekt, schlanker als die anderen, eleganter, schön geformt, eine Vase, ohne Zweifel, stupst man sie an, ganz oben am Rand, stupst man sie ganz leicht, floppt sie zurück, ängstlich, ich habe dir nichts getan, gerät in Rückenlage, rudert mit den Armen, bloß um wieder nach vor zu federn, aggressiv jetzt, energisch, angriffsbereit, eine boxende Vase, ich nehme es mit jedem auf. Oder die Hose, das heißt, die Hosenbeine, Röhren und Möhren, die die ersten Tanzschritte lernen, die untere Hälfte eines neugierigen Menschen, die Knie werden gebeugt und wieder durchgestreckt, rauf, runter, eine Hose, die Kniebeugen übt, dann den Hintern wirft, mal nach links, mal nach rechts, eine Hose, die fleißig übt, eine Hose mit Selbstdisziplin, eine Hose mit Zukunft. Und dieses Objekt gleich daneben? Eine Milchflasche, groß wie eine Tür, leer getrunken, gewaschen, getrocknet, jetzt mit Zeit zum Flirten, mit Zeit zum Tanzen, sofern sich Hände finden, die sie in Bewegung versetzen, sie anstoßen, anschubsen, anrempeln, antauchen, zum Lachen bringen, zum Weinen bringen, eben zum Leben erwecken, erweck mich endlich mal zum Leben, ich bin ein Objekt der Durchlässigkeit, ich bin ein lässiges Objekt. Und die Bilder an der Wand? Darüber laufen Linien, in alle Richtungen, in alle Himmelsrichtungen, bis über den Rand hinaus, man erkennt sofort, dass ihnen die Fläche, egal wie groß sie ist, nicht reicht, nie reichen kann. Sie machen sich auf und davon, immer wieder, ein ständiger Aufbruch und eine ständige Wiederkehr, als hätten sie jedes Mal etwas vergessen, zu dem sie zurück müssten, bloß um gleich wieder abzuhauen. Im ersten Augenblick denkt man an die Landebahnen der Außerirdischen auf dem Hochplateau von irgendwo, oder an das gut ausgebaute Streckennetz im Wohnzimmer eines Eisenbahn-Fan, oder an das Knäuel Wolle, das Ariadne Theseus gab, und das sie auch jedem von uns hätte geben sollen, damit wir aus unseren Labyrinthen wieder hinausfinden, aber das stimmt alles nicht. Das stimmt nicht. Es stimmt nicht. Denn es nützt nichts zu sehen, man muss hören. Wer bereit ist zu hören, der kann einen Schlag hören, einen kurzen, dumpfen, den Schlag von Holz auf gespanntes Fell, den Schlag auf eine Trommel. Wer bereit ist zu hören, der wird einen zweiten, einen dritten Schlag hören, der wird einen Rhythmus erkennen. Man wird dumpfe und helle Schläge, trockene, kurze, lange Schläge hören, man wird eine Bassdrum hören, ein Tom Tom, das Schnarren einer Kleinen Trommel, das Schnappen einer Hi-Hat, das Rauschen von Becken, man wird jemanden Schlagzeug spielen hören, man wird einen Schlagzeuger an der Arbeit hören. Wenn man es erst einmal hört, dann kann man es auch sehen: das Schlagzeug. Das heißt, seine Umrisslinien, oder besser, die Linien, die einmal den Umriss gebildet haben und die sich jetzt frei bewegen, sich über das ganze Bild bewegen, über die Ränder hinaus, weit hinaus, die die Bildfläche verlassen, aber irgendwann wiederkehren, Auf Wiedersehen und Guten Tag, aus reiner Lust am Spiel.